Ich wache in der Morgendämmerung auf und setze mich noch leicht verschlafen auf die Bettkante.
Zwei Gedanken gehen durch meinen Kopf.
Der erste: „Meinen ersten Termin außerhalb habe ich erst um 11 Uhr.“
Der zweite: „Heute muss ich mir beim Duschen die Haare waschen.“
Ein dritter Gedanke gesellt sich dazu: „Lasse ich bis dahin einfach meine Hörgeräte weg?!“
Ich höre in mich hinein und höre das Zirpen meines Tinnitus.
Und damit fällt auch die Entscheidung:
„Natürlich mache ich meine Hörgeräte rein!
Trotz späteren Haarewaschens und trotz Außentermins erst um 11 Uhr!“
Ich stecke also meine Hörgeräte in die Ohren, und höre dabei auf deren Aktivierungsmelodie:
Dong Dang Ding in aufsteigenden Tönen.
Sofort stellt mein Tinnitus sein Zirpen ein.
Statt dessen höre ich ein leises Plätschern in der Schlafzimmerheizung.
„Mist, die muss ich mal wieder entlüften!“

Ich steh auf, gehe in die Küche und stelle die Kaffeemaschine an.
Dabei denke ich: „Ohne Hörgeräte würde ich nichts von dem hören, was ich jetzt höre:
‘Wie der gemahlene Kaffee leise in den Filter rieselt, wie das Wasser aus der Leitung zischt, und wie die Kaffeemaschine beim Kaffeekochen vor sich hin sprutzelt“.
Mit meinen Hörgeräten höre ich das!
Ich höre auch, wie im Hausflur eine Tür ins Schloss fällt:
„Ah, mein Nachbar geht zur Arbeit!“

Der Kaffee ist fertig.
Ich gieße ihn in meinen Lieblingsbecher, stelle mich an die Balkontür, die aus der Küche auf den Innenhof führt, und öffne sie. Inzwischen ist es hell geworden.
Die Luft ist klar. Aber kalt.
Trotzdem lasse ich die Tür kurz geöffnet.
„Höre ich die Vögel, die hier in den Zweigen und zwischen den Mauern leben?“
Nur sehr verhalten.
Denen ist es bestimmt zu kalt zum Singen.
Aber ich höre deutlich die Autos, die auf der Bundesstraße durch die Eilenriede zur Pferdeturmkreuzung oder zum Weidetorkreisel fahren:
Viele Menschen auf dem Weg zur Arbeit.
Mein Kaffee ist alle.
Ich setze mich an meinen Schreibtisch und fahre meinen Rechner hoch.
Ich höre, wie der Drucker klackert, während er seine Systeme überprüft.
Und natürlich auch den Piepton des Rechners, nachdem er erfolgreich hochgefahren ist.

Ich überlege: „Heute ist ein neuer Ermunterungstext fällig!
Was könnte ich denn mal schreiben?“
Ich bin ein bisschen unschlüssig.
Aber dann fällt es mir ein:
Ich schreibe einfach über meinen Morgen!
Ich tippe die Überschrift und die ersten Sätze ein und höre dabei das leises Klickern der Tastatur.
Dann dringt ein Geräusch von außen in mein Arbeitszimmer und lenkt mich ab:
Der Müllwagen fährt vorbei und leert scheppernd die Mülltonnen der ganzen Straße aus.
„Dann gehe ich jetzt doch erst mal Duschen“, denke ich und bin schon auf dem Weg in die Dusche.
Da fällt mir im letzten Moment ein: „Du hast ja noch deine Hörgeräte drin!“
Ich nehme sie raus, und die Hör-Welt um mich herum versinkt in Watte.
Als ich unter der Dusche stehe, und nun nichts mehr höre, weiß ich:
„Morgen mache ich es wieder so!
Sofort nach dem Aufwachen meine Hörgeräte rein.
Weil ich damit so viel höre!“

Beate Gärtner, Schwerhörigenseelsorgerin